Die Feuerwehr meldet ein 18-jähriges Mädchen an, in der Schule plötzlich Hemiparese links. Das Team der Notaufnahme ist inzwischen gut geschult und alle wissen: es kommt auf die door-to-needle Zeit an. Das ist die Zeit zwischen Eintreffen des Patienten und Beginn der intravenösen Thrombolyse-Therapie zur Auflösung des Blutgerinnels in den intrazerebralen Arterien. Je früher, desto größer ist die Erholungswahrscheinlichkeit. Es kommt auf jede Minute an und ist nur in den ersten 4,5 Stunden möglich.
Eine Assistenzärztin steht bereit. Dann kommt die Patientin. Sie kann sprechen, ist aber müde und die linke Seite ist plegisch. Die Lehrerin ist dabei und fassungslos. Kurz vor dem Abitur. Das Team muss jedoch kühlen Kopf behalten. Jetzt werden nur die wichtigsten Fragen zum Ereignis und Kontraindikationen gestellt. Schnell am rechten Arm Blut abnehmen und ins Labor für die Blutgerinnungswerte. Dann geht es in die Computertomographie, um eine Blutung auszuschließen. Die Bilder kommen im Sekundentakt und bieten sofort faszinierenden Einblick in den Schädel. Auch eine Gefäßdarstellung erfolgt. Soweit alles ok, noch kein Infarkt zu sehen. Dann werden die Eltern angerufen, die schon unterwegs sind. Wir wollen schnell beginnen und trotzdem vorher mit ihnen sprechen. Die Therapie kann heilen, hat aber auch Risiken. Die Eltern geben telefonisch ihr ok. Nochmals Rücksprache mit dem Oberarzt, der inzwischen auch eingetroffen ist. Und dann wird die Anfangsdosis als Bolus gespritzt, direkt danach der Perfusor für 1 Stunde Laufzeit eingestellt. Und während die Thrombolyse läuft, wird die Patientin auf die Stroke-Unit, die Schlaganfallstation gefahren und verkabelt. Wir wollen nichts verpassen, optimale Bedingungen schaffen. Nach einer halben Stunde dann regt sich was, der Arm geht auf der Bettdecke hin und her. Schließlich ein vorsichtiges Winken zu den Eltern. Die Assistenzärztin schaut reihum in die Augen, der Patientin, der Eltern, des Pflegeteams. Alle sind plötzlich hoffnungsvoll.
Es ist ein schönes Gefühl. Und tatsächlich: 3 Tage später Entlassung und das Abitur wird geschafft. Aber Ärztin möchte die junge Patientin trotzdem nicht werden, zu viel Verantwortung.
Ein 35-jähriger Mann nach Verkehrsunfall, Unterschenkelfraktur und Schädelprellung. War schon auf der Allgemeinstation und dann nach 24 Stunden plötzlich Luftnot. Dabei hatte er sich schon so gut erholt, mit seiner Freundin gescherzt. Erster Verdacht: Lungenembolie. Die Unfallchirurgen veranlassen sofort Röntgen-Thorax - ist unauffällig. Dann Blutgase, mit niedrigem pO2 und pCO2. Und dann Eintrübung, das passt nicht so recht. Und wird schlimmer. Bei erträglichen Blutgasen und ohne Beatmungsnotwendigkeit sackt die Bewusstseinslage weiter und weiter ab. Jetzt ist der Patient auf der Intensivstation.
Der neurologische Assistent wird dazu gerufen. Der Befund: Patient ist inzwischen tief somnolent. Pupillenreakton, Cornealreflex, okulozephaler Reflex, trigeminale Schmerzreaktion, Hustenreflex: Hinnerven alle in Ordnung. Schmerzreize an den Extremitäten mit ungezielter Abwehrreaktion. Aber Babinski rechts positiv, links nicht sicher. Die Freundin in Panik: Was ist los? Was machen Sie?... Bei eigener Besorgnis ist es gar nicht so leicht, beruhigend zu wirken. Aber es hilft nichts, die Gedanken, das Wissen, den eigenen Kopf: am besten ordnen. Was ist jetzt am besten? Beratung mit den Anästhesisten. Wir brauchen eine Computertomographie des Kopfes. Ist es sicher ohne Beatmung? Ja, wenn der Anästhesist dabei bleibt.
Dann auch gleich ein CT des Thorax? Ja, wenn der Patient schon mal unterwegs ist. Noch mal Blutgase, eher gebessert. Und dann stehen wir vor dem CT-Bildschirm. Der Kopf erscheint scheibchenweise, Hochspannung! Und dann Erleichterung und Rätselraten, alles normal! Aber was kann es sein? Jetzt kommt der Thorax, und hier ist was zu sehen. Aufhellungszonen an verschiedenen Stellen in der Peripherie, die Gefäße alle offen. Lunge, Gehirn. Gehirn, Lunge, Knochen.... Was kann es sein? Und dann fällt der Groschen, die Vorlesung im siebten Semester Unfallchirurgie. Fraktur langer Röhrenknochen, kann eine Fettembolie verursachen. Meist nur die Lunge, aber manchmal auch das Gehirn betroffen. Das muss es sein, dass kann es nur sein. Der Anästhesist nickt anerkennend. Die Freundin ist weiter fix und fertig.
Prognose? Schnell an den Computer und in Medline. Fallberichte, Reviews, hier was Deutsches von 2004: 12 Fälle mit cerebraler Beteiligung, fast keine Folgeschäden. Das kann der neurologische Assistent der Freundin schon mal berichten, sie wirkt erleichtert. Es ist noch ein paar Tage Arbeit, viele Gespräche, mehr Literaturstudium. Es gibt einiges zu lernen an dem Fall. Und der Patient verlässt das Krankenhaus auf seinen zwei Beinen, die Prognose war, zum Glück, korrekt.